„Wer den Streik vermeiden möchte, muss ihn gut vorbereiten!“
– Willi Bleicher
Wir1 stellen uns allerdings die Frage, ob das überhaupt das Ziel sein sollte, „den Streik zu vermeiden“. Oder ob es nicht besser wäre, als Gewerkschaft regelmäßig Kampfbereitschaft und Stärke zu zeigen?
Ist ein Streik nicht mehr als nur ein Mittel zu dem Zweck, einen „guten Tarifabschluss“ durchzusetzen? Lässt ein Streik nicht auch unsere Klasse ihre kollektive Stärke spüren? Und verschafft uns2 damit – im Erfolgsfall – für viele Jahre im Voraus den nötigen „Respekt“ der Unternehmer für künftige Verhandlungen? Auch auf betrieblicher Ebene?!
Wer für seine Interessen gegen „die da oben“ kämpft, muss nicht nach unten treten, um sich zu erhöhen. Gewerkschaften, die den Kampf für eine soziale Alternative zu den alltäglichen Gewalttaten des Kapitalismus organisieren, bieten damit eine wirkliche „Alternative für Deutschland“. Ein solcher Kampf ist praktischer Antifaschismus und wirkt mehr als hundert gut gemeinte „Resolutionen gegen rechts“! Denn die Streikenden können anhand ihrer eigenen Erfahrung erkennen, dass es egal ist, welche Hautfarbe der Kollege oder die Kollegin neben ihnen hat. Oder wo jemand geboren ist. Die Klasse ist das, was zählt in einem Streik; nicht die Herkunft oder die Hautfarbe.
Ja. Ein Streik ist immer das letzte Mittel. Aber doch ein Mittel! Nicht nur eine theoretische Möglichkeit. Nie oder nur äußerst selten angewandt wird dieses „letzte Mittel Streik“ zur leeren Drohung. Mit einem schwachen oder müden Gegner nimmt man es nun mal einfacher auf als andersherum. Und jedes Zögern, wenn es darum geht Stärke zu zeigen, lässt die „Falken“ im Unternehmerlager mutiger werden.
Es ist eben nicht wie im Privatleben oder unserem Alltag. Dass wenn man nett zu jemand anderen ist, dieser dann auch nett zu einem selbst ist. In der Wirtschaft und in Tarifrunden geht es nicht um´s „Nett sein“, sondern um das Durchsetzen von Interessen. Interessen, die – wie wir wissen – zwischen uns und den Bossen, gegensätzlich sind! Oder noch einfacher formuliert: Lohnkosten sind auch Kosten. Geringere Kosten, sind höhere Gewinne. Und Kostensenkungen durch zum Beispiel „Nullrunden“ oder „Differenzierungen im Tarifvertrag“ sind steigende Gewinne!
Wohlgemerkt, wenn wir Streik reden. Reden wir nicht allein von Warnstreiks oder betrieblichen Arbeitskämpfen. Letztere führen wir aktuell vielleicht sogar häufiger als in früheren Jahrzehnten; auch wenn sich die Bezirke der IG Metall in ihrer Streikfreude dabei stark unterscheiden. Wir reden von landesweiten Tagestreiks (ZE) und mehr noch von einem Erzwingungsstreik in der Fläche.
Und noch etwas anderes sollten wir bedenken; wir haben in den Betrieben (bei den sogenannten „Ehrenamtlichen“ und auch unter den Hauptamtlichen der IG Metall) nur noch sehr wenige, die überhaupt wissen, wie ein Streik organisiert wird und erfolgreich geführt werden kann. Die letzten mit diesem Wissen und entsprechender Erfahrung gehen seit einigen Jahren Stück für Stück in die Rente. Was bleibt, ist oft eine Mischung aus guten Absichten derjenigen, die noch da sind, Angst vor der Eskalation, Mutlosigkeit und der Hoffnung, dass die Unternehmer zur guten, alten „Sozialpartnerschaft“ zurückkehren mögen.
Wir laufen Gefahr, Gefangene eines gefährlichen Teufelskreises aus Angst vor dem Scheitern, fehlender Streik-Erfahrung, einer sich daraus ergebenden Vermeidungsstrategie und dann noch mehr Angst zu werden.
Noch ist Zeit, die Weichen anders zu stellen. Aber wir sollten damit nicht mehr allzu lange warten! Denn wir können davon ausgehen, dass unser Gegner weit mehr Klassenbewusstsein besitzt, als manche in unseren Reihen annehmen, und unsere Schwächen kennt. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden nicht wenige Bosse auf die passende Gelegenheit warten, uns viele unserer in früheren Jahrzehnten erkämpften Erfolge wieder wegzunehmen. Die aktuelle Krise in der Wirtschaft ist dazu eine „passende“ Gelegenheit?!
Wir3 sollten deshalb in der kommenden Tarifrunde und in den derzeit eskalierenden betrieblichen Konflikten nicht wie ein angeschlagener Boxer in der Ringecke wirken; der darauf hofft, dass die Schläge des Gegners bald aufhören mögen. Wer sich wie ein Opfer verhält, wird erst recht zum Opfer. Oder wie es Bertolt Brecht formulierte: „Wer den Kampf nicht teilt, der wird die Niederlage teilen“.
Genug der Vorrede. Wir wollen einige aktuelle und auch grundsätzliche Fragen aus der Arbeit der IG Metall kommentieren. Beginnen wir mit der kommenden Entgelttarifrunde4 in der Metall- und Elektro-Industrie …
Reallöhne sichern, einen „Nachschlag“ durchsetzen!
Was ist die zentrale Aufgabe tariflicher Entgeltpolitik? In guten Jahren, unsere Mitglieder am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen zu beteiligen und ihren Lebensstandard zu erhöhen. In schlechten Jahren (Krisen) die zuvor erkämpften Erfolge verteidigen und das Absinken der Reallöhne zu verhindern.
Dass die letzten Jahre keine guten waren, steht sicherlich außer Frage. Folglich sollten wir uns trauen, einen selbstkritischen Blick auf unsere Tarifpolitik zu werfen.
Die Preise werden – ausgehend vom Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 – bis zum Ende des Jahres 2025 um rund 21% gestiegen sein. Dem gegenüber stehen bis jetzt Entgelterhöhungen in Summen von 10,6%. Das heißt aus unserer Sicht, die naheliegende Aufgabe unserer Tarifpolitik wäre es, die sich für diesen Zeitraum auftuende Reallohnlücke5 zu schließen.
Natürlich werden jetzt einige sofort anfangen „zu rechnen“ und mehr „Realismus“ anmahnen, denn es ist unschwer zu erkennen, dass das Absichern der Reallöhne bis Ende 2025 einen Tarifabschluss von „>10%“ und damit eine Entgeltforderung von annähernd 20% erfordern würde. Vielleicht wird man auch sagen, dass es dank der beiden tariflichen „Inflationsausgleichprämien“ in Höhe von jeweils 1.500,- netto bis dato überhaupt keinen Reallohnverlust gegeben habe.
Wir meinen dazu: Das Argument mit den beiden Inflationsausgleichsprämien ist schnell erledigt. Denn die sind inzwischen bei den allermeisten ausgegeben. Wohingegen die Preissteigerungen bleiben werden!
Das Argument „10% Entgeltsteigerung ist in dieser Tarifrunde nicht durchsetzbar“ muss man ernster nehmen. Denn verweist zum einen auf die aktuell höchst unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Unternehmen im Geltungsbereich des Flächentarifvertrags ME sowie auf die vermutlich „ausbaufähige“ Kampfbereitschaft unserer Gewerkschaftsmitglieder in krisenhaften Situationen.
Realismus beginnt jedoch damit, erst einmal die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn die einem vielleicht nicht passen? Zudem erfordert „Realismus“ Ehrlichkeit gegenüber unseren Mitgliedern, die vermutlich rechnen können und in ihrer Haushaltskasse gerade den Unterschied zwischen dauerhafter Preissteigerung und zeitweiligen Inflationsausgleichsprämien bemerken dürften?
Wenn es in unseren Reihen Konsens6 ist, dass nicht unsere Mitglieder für die Krisen und Kriege des Kapitalismus zahlen sollen, dann wäre es sinnvoll, das Problem der „Reallohn-Lücke“ anzuerkennen und über Lösungen dafür zu diskutieren.
Auch wir sind der Ansicht, dass die Höhe der Tarifforderung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Unternehmen und vor allem die Kampfbereitschaft unserer Mitglieder zusammenpassen müssen.
Insofern gibt es für uns zwei Alternativen:
Wie bereits begründet: sollte zum Beispiel die Mehrheit in unseren IG Metall-Gremien die beiden genannten Vorschläge nicht für „realistisch“ halten, dann ist ein erheblicher Reallohnverlust „realistisch“, sprich absehbar. Es heißt also: Entweder, oder! Eine dritte Alternative sehen wir nicht.
Die Ausbildungsvergütung in der Metall-/Elektro-Industrie:
Früher Champions League! Heute fast schon im „Niemandsland der Tabelle“?
Die Zeiten als die Ausbildungsvergütung in der ME-Industrie annähernd die höchste aller Branchen war, sind vorbei. Andere Gewerkschaften waren mit ihren Tarifbewegungen erfolgreicher und sind an uns vorbeigezogen.8
Was uns zudem auffällt: mit kleiner werdenden Ausbildungsvergütungen gibt es für die ME-Branche anscheinend ein größer werdendes Problem die Ausbildungsplätze adäquat zu besetzen und Fachkräfte zu gewinnen. Anders formuliert: „Am Ende ist es immer auch eine Frage des Geldes! Denn gute Leute für kleinen Lohn zu finden, ist schwierig.“
Nicht dass wir anderen Gewerkschaften nicht deren Erfolge gönnen würden, aber wir sollten uns trotzdem selbstkritisch fragen, wie es passieren konnte, dass wir bei der Höhe der Ausbildungsvergütungen inzwischen nur noch knapp über dem Durchschnitt9 liegen?
Haben wir uns am eigenen Erfolg früherer Jahre berauscht; wurden wir selbstgefällig und „satt“? Verloren wir die Höhe der Ausbildungsvergütung deshalb aus dem Blick, weil wir uns darüber freuten, durchgesetzt zu haben, die Dual-Studierenden in den Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für Ausbildung aufzunehmen?
Hat sich die IG Metall-Jugend (im wichtigen Tarifgebiet Baden-Württemberg) in den vergangenen Jahren vielleicht zu sehr mit dem Vorschlag einer Aktienrente beschäftigt?
Oder liegt die Ursache des Problems noch viel weiter in der Vergangenheit?
Die Älteren werden sich erinnern? Früher war es nicht selten so, dass eine forsche Gewerkschaftsjugend die etwas gesetzteren Alten, mit ihren selbstbewusst vorgetragenen Forderungen nach einer höheren Ausbildungsvergütung „nervte“. Und so könnte es gewesen sein, dass die Idee geboren wurde, die Höhe der Ausbildungsvergütung mit einem gewissen Prozentsatz an die sogenannte Eckentgeltgruppe anzubinden?
Dies befriedete fortan die partiell aufmüpfige Gewerkschaftsjugend. Vermutlich auch weil die dachte, was „ganz Dolles“ 10 bekommen zu haben? Die „Anbindung“ machte jedoch die wichtige Frage der Steigerung der Ausbildungsvergütung zu einem tariftechnischen Automatismus. Die Gewerkschaftsjugend diskutiert nicht mehr Jahr für Jahr die Frage, was denn eine angemessene Ausbildungsvergütung wäre; die auch in teuren Ballungsräumen wie z.B. der Region Stuttgart für ein unabhängiges Leben reicht.
Niemand aus der Gewerkschaftsjugend forderte mehr von „den Alten“ Solidarität für ihre separate Entgelt-Forderung ein. Usw.
Vielleicht führte das alles zusammen zu der über Jahre hinweg gepflegten Einbildung, bei der Ausbildungsvergütung irgendwie ganz vorne zu sein? Bis die Realität uns einholte.
Wie heißt es doch: „Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung?“ Nur wird es – ebenso wie bei der Sicherung der Reallöhne – ein langer mühsamer Weg werden, die eigenen Versäumnisse aufzuholen.
Was ist aus unserer Sicht zu tun?
Vor nicht allzu langer Zeit waren das Streikgeld und der Stolz auf die eigene Organisation der „Mitgliederbonus“!
Fast jeder, der sich im Betrieb für die Gewerkschaft engagiert, hat es schon x-mal gehört: „Den Mitgliedsbeitrag spare ich mir. Ich krieg´s doch auch so!“ Zu Recht möchte man es solchen Egoisten irgendwie heimzahlen. Insbesondere dann, wenn es im Betrieb auch noch rechte oder unternehmensnahe Gruppen und Betriebsratslisten gibt, die diese gewerkschaftsfeindliche Haltung befeuern.
Es gibt einige Möglichkeiten im betrieblichen Alltag unsolidarischen „Kollegen“, Geizhälsen oder angebräunten Hetzern zu zeigen, was wir von ihrer Einstellung halten. Man muss es nur konsequent tun! Diese Leute ganz konkret und unmittelbar einen „Nichtmitglieder-Malus“ im Umgang mit ihnen spüren zu lassen!
Problematisch wird es unserer Sicht dann, wenn wir das Naheliegende nicht oder zu wenig tun und stattdessen darauf hoffen, die Bosse durch eine Tarifrunde dazu zwingen zu können, für uns dieses Problem mittels eines „Bonus für IG Metall Mitglieder“ zu lösen.
Warum sind wir bei der Idee mit dem „Mitgliederbonus“ skeptisch? Weil Geld keine Überzeugung schafft und wir unsere Gewerkschaft damit nicht kampffähiger machen, sondern eher schwächen; wenn Mitglieder überwiegend oder vielleicht sogar ausschließlich materiellen Gründen eintreten.11
Jetzt werden einigen sagen, diejenigen, die bereits bei uns Mitglied sind, sind doch auch nicht alle zu 100% überzeugte Gewerkschafter. Stimmt. Aber mehr als 0% Überzeugung sollten es schon sein!
Aus unserer Sicht weist der Wunsch vieler unserer ehrenamtlichen IG Metall Funktionäre und Mitglieder nach einen Mitgliederbonus auf viel grundsätzlichere Probleme hin.
Zum Beispiel …
Wie soll sich so unter unseren Betriebsratsmitgliedern und Vertrauensleute die Haltung entwickeln und die Argumente geschärft werden, mit denen sie dann andere Menschen von unserer Organisation überzeugen?
Wir laufen Gefahr, dass sich die IG Metall-Mitgliedschaft zu einem Geschäft ähnlich dem Abschluss einer Versicherung reduziert.
Man könnte sicher noch einiges mehr nennen. Aber aus unserer Sicht ist dies das Wesentliche. Wenn wir anfangen daran zu arbeiten, können wir „auch gerne“ in der Tarifrunde einen (intelligenten) Mitgliederbonus fordern. Nur sollten wir nicht zu viel davon erwarten.
Wir sollten uns ferner darüber im Klaren sein, dass ein flächendeckender Mitgliederbonus (nicht nur in einigen Standorten der OEMs) mit größter Wahrscheinlichkeit einen flächendeckenden Streik erfordern wird. Insofern können wir der Sache sogar etwas Positives abgewinnen, wünschen uns jedoch im Vorfeld der Eskalation eine ehrliche Einschätzung unserer Stärke zur Durchsetzung dieser Forderung und für den Fortbestand des Flächentarifvertrags13.
Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen. Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, dass unsere IG Metall Mitglieder mehr bekommen als diejenigen, die denken, sich den Mitgliedsbeitrag sparen zu können! Und wir sind bei diesem Thema nicht deswegen skeptisch, weil wir Angst hätten dafür zu streiken, sondern weil wir der Auffassung sind, dass die politischen Probleme in unserer Klasse, nicht die Bosse für uns mittels eines „Bonus“ lösen sollten oder könnten.
Noch zwei Bemerkungen in Richtung unseres IG Metall Vorstands beziehungsweise der Bezirksleitungen …
Wir finden, das ist ein guter Ansatz. Besser als „Hier hast Du einen zusätzlichen freien Tag; jetzt werde Mitglied der Gewerkschaft!“ Nur wird die Welt nicht durch Resolutionen oder Gewerkschaftstagsbeschlüsse verändert. Die eigene Glaubwürdigkeit hängt von
den eigenen Taten ab!
Wir fragen uns daher, wie und mit wem diese guten Ideen wann durchgesetzt werden sollen? Und vor allem wann, wenn nicht in dieser Tarifrunde?!
Falls das dieses Jahr nicht gelingt oder angepackt wird, viel Zeit bis zum nächsten Gewerkschaftstag bleibt dann nicht mehr!
Lieber streiken statt umständlicher Kompromisse!
Tarifverträge sollen einheitliche materielle Arbeitsbedingungen innerhalb einer Branche festlegen. Wenn diese Tarifverträge jedoch die Möglichkeit für diverse betriebliche „Differenzierungen“ beinhalten, wird damit dieser Zweck konterkariert.
Wir sollten selbstkritisch eingestehen, die Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre waren deutlich zu komplex. Neben dem Problem, dass sie ihren Zweck nur noch unzureichend erfüllen, stellt sich zudem die ganz banale Frage, wer versteht unsere Tarifverträge im Detail überhaupt noch? Zum Beispiel die Regelungen zur Umwandlung der „T-Zugs“ oder des „Transformationsbausteins“ in freie Tage?
Was ist eine „Quote in der Quote“ bei der Altersteilzeit?
Wie lange dürfen Leiharbeiter entliehen werden? Und wann gilt was bei der Entleihzeit? Gesetz? Tarifvertrag? Oder doch die alte Betriebsvereinbarung?
Wie war das noch mal mit dem tariflichen Leistungsentgelt? Wer wird bei der Berechnung des 15%-Durchschnitts nicht mehr mit einbezogen? Und wie wird sich das auswirken, was in der vorletzten Tarifrunde von uns akzeptiert wurde?
Wann kann der ZUB verschoben und wann gestrichen werden? Wo steht das? Und was heißt eigentlich ZUB?
Wie wird neuerdings die Verdienstsicherung ab 54 berechnet?
Was ist mit der Alterssicherung? Gilt die noch für alle ab 53? Oder gibt es umständliche Anwartschafts- und Übergangsregelungen?
Was ist eigentlich eine verkürzte, eine verlängerte oder eine normale Vollzeitarbeit? Und was ist das Volumenmodell?
Man könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Wahrscheinloch auch deshalb, weil es neben dem zu komplexen Flächentarif in vielen Betrieben auch noch tarifliche Abweichungen gibt, die die Sache noch undurchschaubarer machen?
Wenn selbst Hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre oft nicht mehr durchblicken, wie geht es dann den (meist ehrenamtlichen) Betriebsräten, die die Einhaltung der Tarifverträge in der Praxis kontrollieren sollen? Geschweige denn unseren Mitgliedern?
Zu hohe Komplexität und zu starke Differenzierungen erschweren zusätzlich, neue Betriebe gewerkschaftlich zu erschließen oder die Tarifbindung durchzusetzen. Welche Belegschaft möchte denn für die Einführung des Flächentarifs kämpfen, wenn man in vielen Punkten gar nicht mehr versteht, was drinsteht? Oder einem das zuvor erstreikte Weihnachtsgeld, der T-Zug oder der ZUB später wieder „wegdifferenziert“ werden können?
Aber warum lassen wir die uns selbst überfordernde Komplexität des Flächentarifvertrags überhaupt zu? Niemand macht das vermutlich, weil er es gerne umständlich mag?
Wir nehmen an, ein Teil der Erklärung ist die Angst vor dem nächsten „großen Streik“ und dem dann endgültig absehbaren Ende der Illusion von Sozialpartnerschaft mit den Bossen. Wir fürchten nur, dass wir es mit dieser Grundhaltung nur noch schlimmer machen! Wie heißt es doch: „wer es allen recht machen möchte, macht es am Ende keinem recht!“ Stehen wir kurz möglicherweise vor diesem Ende?
Die Alternative zu zu viel Komplexität und „Differenzierung“ im Tarifvertrag, die auch noch dem letzten Boss akzeptabel erscheinen lassen sollen, den ausgehandelten Kompromiss mitzutragen, ist, mal wieder den Tisch im Verhandlungslokal umzuschmeißen!
Wir wünschen uns deshalb …
Nur der Kampf in der Fläche verteidigt den Flächentarifvertrag!
Es steht offensichtlich nicht gut um den Flächentarifvertrag. War er ursprünglich die Reaktion der Unternehmer auf die sich betriebsübergreifend als „Klasse“ organisierende Arbeiterbewegung und nicht zuletzt der Angst der Kapitalisten vor dem Sozialismus geschuldet, so ist er nach der „Zeitenwende“ von 1990 äußerlich und innerlich erodiert.
Die äußere Erosion des Flächentarifvertrags besteht darin, dass in den letzten 30 Jahren die Mehrzahl der ehemals tarifgebundenen Unternehmen die Mitgliedsverbände von Gesamtmetall verlassen haben! 15
2019 waren es 222. 16 (= minus 81,5%)
Diese Entwicklung ist dramatisch17. Zumal kein Ende absehbar scheint. Auch wenn wir mit den regionalen Erschließungsprojekten versuchen dagegen zu halten und punktuelle Erfolge zu verzeichnen sind. Jedoch wird kein gewerkschaftliches „Erschließungsprojekt“ allein ausgleichen, was uns über Jahrzehnte (in Westdeutschland) in die Karten spielte: die „unsichtbare dritte Partei“18 am Tisch der Tarifverhandlungen und – fast vergessen – dass in Folge der „68er“ tausende junge Sozialisten oder Kommunisten in die Betriebe „gingen“, die damit die Welt verändern wollten.
Wir brauchen eine neue gesellschaftliche Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen kapitalistischen „Markt-Murks“ sowie gegen Krieg. Die IG Metall sollte ein Teil davon sein und zu ihrem Entstehen beitragen!
Zurück zur Erosion des Flächentarifvertrags; zu dessen äußerer Erosion kommt seine innere Erosion. Zunehmend gibt es ultra-umständliche betriebliche Differenzierungsmöglichkeiten, die den Tarifvertrag schlimmstenfalls zu einer Art „Empfehlung“ reduzieren. Von der dann zu Ungunsten der Belegschaft im Betrieb abgewichen werden kann. So frisst sich die „Differenzierung“ immer tiefer in die Kernbereiche des Flächentarifvertrags.
Solche Differenzierungen schaden uns in mehrfacher Hinsicht: Sie unterhöhlen das Prinzip, dass es innerhalb einer Branche den gleichen Lohn und gleich gute Arbeitsbedingungen für vergleichbare Tätigkeiten geben soll. Sie schaden unserer betrieblichen Verankerung, weil die Weitergabe tariflicher Erfolge von der Gewinnmarge des Unternehmens beziehungsweise vom Erreichen irgendwelcher von Bossen und Börse festgelegten Renditeziele abhängig machen können. Sie stärken dadurch einen neoliberalen Profitglauben und betriebssyndikalistisches Denken in den Köpfen unserer Kollegen. Nicht zuletzt: Differenzierungen innerhalb des Tarifvertrags können schlimmstenfalls nicht diesen selbst zum Normalfall machen, sondern die permanente Abweichung davon. Damit entstünde nach und nach ein Tarifgefüge, das es ermöglicht, unternehmerische Risiken auf einzelne Teile unserer Klasse abzuwälzen.
Das Pforzheimer Abkommen Anfang der Nullerjahre war der Versuch mit den Arbeitgebern eine Art „Atempause“ zu vereinbaren. Sie sollten ihre massenhaften Erpressungsversuche und Verlagerungsdrohungen gegenüber den Betriebsräten unterlassen und stattdessen zur IG Metall kommen, wenn sie Geld zum Beispiel für Investitionen brauchten. Im Gegenzug wollte die IG Metall nicht mehr ganz so widerborstig sein, wenn es darum ginge, befristet betrieblich vom Flächentarifvertrag abzuweichen.
So eine „Atempause“ zu vereinbaren, kann zeitweilig richtig sein. Aber dann muss man auch wissen, wie man zum Gegenangriff übergeht und das verlorene Terrain zurückerobert! Sprich, wie man die zur Verteidigung und Wiederherstellung des Flächentarifvertrags nötige betriebliche Verankerung und Handlungsmacht herstellt. Leider ist das keinesfalls überall geschehen. Sondern „Pforzheim“ wurde von einem von den Umständen diktierten vorübergehenden Waffenstillstand zur betrieblichen „Normalität“.
Der „Tausch“ erkämpfter Erfolge gegen (meist nur zeitweilige) Produktzusagen seitens der Unternehmen ist nicht nur ein Schritt zurück, sondern nicht selten ein Beginn einer Abwärtsspirale! Für jedes neue Produkt darf´s dann ein wenig mehr sein. Hier etwas unbezahlte Arbeitszeit, dort ein „flexibilisiertes Weihnachtsgeld“. Outsourcing, Leistungsdruck, mehr Leiharbeit. Usw.
Und am Ende wundert man sich, wie es zum „Hungerlohn am Fließband“ kommen konnte? Wir wollten doch nur „den Standort sichern“.
Seit der Tarifrunde 2021 wird das „Pforzheimer Abkommen“ durch das „Kornwestheimer Abkommen“ ergänzt. Sozialpartnerschaftlich ausgehandelte sogenannte „Zukunftstarifverträge“ sollen die Betriebe fit machen für den industriellen Strukturwandel („Transformation“) und neue Produkte sichern sowie die Belegschaften vor Verlagerungen in Billiglohnländer19 bewahren.
Hört sich super an, gäbe es da nicht ein kleines Problem. Die Bosse und wir haben unterschiedliche wirtschaftliche Interessen!
Wenn die Bosse von ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ reden, meinen sie ihren höchstmöglichen Profit! Wenn sie die Verbesserung der „Investitionsbedingungen“ fordern, meinen sie damit auch geringere Arbeitskosten und Reduzierung sozialer Standards. Wir sollten uns dessen bewusst sein, sonst enden wir wie ein Löwenbändiger, der Nähe zum Raubtier mit Liebe verwechselt. Nicht selten ist die deutsche Arbeiterbewegung in der Geschichte an ihrer eigenen Gutmütigkeit gescheitert. Nicht an zu viel „Radikalität“!
Wir wollen einen sicheren Job, hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Die Bosse wollen den höchstmöglichen Profit. Und müssen dies auch wollen. Sonst werden sie Opfer der kapitalistischen Konkurrenz. Das heißt, Zukunft wird es nur durch die Begrenzung der unternehmerischen Verfügungsgewalt und die Einschränkung der Freiheit des Eigentums an den Produktionsmitteln geben. Selbst Sozialpartnerschaft – wenn sie denn unbedingt möchte – muss man sich zuvor erstreiken.
Was den Flächentarifvertrag betrifft: Die Friedenspflicht während seiner Laufzeit wird für den Kapitalisten bedeutungslos, wenn auch ohne Tarifbindung oder bei von uns gekündigtem Tarifvertrag kaum gestreikt wird.
Das heißt zweierlei.
Wir schlagen deshalb vor …
Wie eingangs erwähnt: Der Flächentarifvertrag war die Reaktionen der Kapitalisten auf die sich innerhalb einer Branche organisierenden Arbeiterbewegung. Nur wenn wir unsere Fähigkeit innerhalb einer ganzen Branche gleichzeitig kämpfen zu können, wiedererlangen, werden wir den Flächentarifvertrag verteidigen!
Wenn wir jedoch die Regierung zu einer besseren Politik zwingen wollen, dann sollten wir die betrieblichen Kämpfe und die in den einzelnen Branchen zu etwas Größeren zusammenführen. Was dann aus unserer Sicht die Bezeichnung Klassenkampf – der Kampf einer ganzen Klasse! – verdienen würde.
Das wirtschaftliche Gefälle zwischen OEM20 und Zulieferern gefährdet den Fortbestand des Flächentarifvertrags!
Wieviel Gewinn ist genug? 3%? 5% 8% oder doch mindestens zweistellig?
Einige Bosse werden sagen, „Am liebsten so viel wie US-amerikanische Tech-Konzerne“ oder raffgierige Finanzinvestoren. Selbst „Stiftungsunternehmen“ wie Bosch träumen mittlerweile von Renditen, die vor einigen Jahren für sie noch als „unanständig“ galten. Mercedes und Porsche liegen schon lange deutlich über „10% Marge“. Aber haben trotzdem keine Neigung damit zufrieden sein. Jetzt ist die „20“ das Ziel.
Krise? Sollen doch die Belegschaften dafür bezahlen und nicht die Eigentümer oder Investoren.
Wir sehen Exzesse der Gier bei vielen großen Unternehmen. Nicht nur in der ME-Branche. Aber wer zahlt die Zeche dafür?
Dies ist eine gewerkschaftspolitische Frage, die von uns entsprechend politisch beantwortet werden muss. Wenn wir das nicht tun, treffen immer wieder mit dem Tarifergebnis unzufriedene Belegschaften der OEMs – weil aus ihrer Sicht zu niedrig – auf abgehängte „Randbelegschaften“ und mit Standorterpressungen und Insolvenzen konfrontierte Kollegen bei den Zulieferern.
Es ist beispielsweise höchstwahrscheinlich, dass das Management der Zulieferbetriebe verstärkt versuchen wird, den aus den Krisen des Kapitalismus resultierenden Kostendruck durch „Sparprogramme“ und Abweichungen vom Tarifvertrag „nach unten“ an ihre Belegschaften weiterzugeben. Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten, noch mehr Leistungsdruck, Personalabbau und Auslagerungen in tariffreie Bereiche wären dann die Folge. Sofern der Zulieferer nicht gleich selbst den Arbeitgeberverband verlässt; das heißt „Tarifflucht“ begeht oder in eine Verbandszugehörigkeit „ohne Tarif“ (OT) wechselt.
Uns sollte bewusst sein: Was heute oder morgen in einem Zulieferbetrieb, bei einem Dienstleister oder auch „nur“ mit den Leiharbeitern passiert, wird morgen auch gegenüber der Stammbelegschaft der OEMs versucht werden. Ziel gewerkschaftlicher Arbeit muss es daher sein, in der ganzen (!) Branche gute Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen und damit die Konkurrenz der Arbeiter untereinander (zumindest teilweise) aufzuheben.
WIR – das heißt die Belegschaften von OEMs und Zulieferern gemeinsam – sollten den Kampf darum führen, dass es „gute Löhne und Arbeitsbedingungen“ für alle entlang der sogenannten „Wertschöpfungskette“ gibt!
Wir wollen, dass Gewinnbeteiligungen einzelner Belegschaften tatsächlich die Gewinne der OEMs reduzieren und nicht durch Preissenkungen beim Einkauf refinanziert werden.
Wir wollen, dass die Zulieferbetriebe „faire Preise“ für ihre Produkte erhalten, statt fortlaufend den Forderungen nach weiteren Kostensenkungen ausgesetzt zu sein. Und wir wollen, dass diese „fairen Preise“ als Lohnerhöhung und in Form besserer Arbeitsbedingungen bei den Belegschaften der Zulieferer tatsächlich ankommen.
Der Kampf um die Erfüllung dieser Forderung wird uns an die Grenzen unseres Wirtschaftssystems führen. Das ist gut, denn so beginnen möglichst viele Kolleginnen und Kollegen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung im gewerkschaftlichen Kampf darüber nachzudenken, ob der Kapitalismus wirklich das Ende der Geschichte bleiben muss. Oder ob es nicht etwas Besseres gibt!?
Vom „Bündnis für Arbeit“ über das „Tarif-Moratorium“ zu „Industrie LÄND bleibt stark“.
Gingen frühere Generation führender Gewerkschafter noch davon aus, dass es einen „Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital“ gibt, den man nur „aussöhnen“ müsse, gewinnt man beim Lesen des aktuellen Papiers der IG Metall Baden-Württemberg mit dem spritzigen Namen „Industrie LÄND bleibt stark“ den Eindruck, es gäbe keine Klassen mehr? Es scheint so, als sei heute alles nur noch eine Frage von „unternehmerischen Mut, Ehrgeiz und Verantwortung“. Und natürlich von „guten Ideen sowie viel Willen“.
Dabei hat gerade der sozialpartnerschaftliche Korporatismus eine lange Geschichte, aus der man hätte lernen können!
Erst Ende 2019 bot die IG Metall-Spitze den Bossen ein „Tarif-Moratorium“ an, um damit durch den industriellen Strukturwandel („Transformation“) gefährdete Arbeitsplätze zu sichern. Dieser Gedanke erinnert an das in 1990er vom damaligen IG Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel vorgeschlagene „Bündnis für Arbeit“. Damals führte die angebotene Lohnzurückhaltung nicht zu neuen oder sichereren Jobs, sondern war die ungewollte Einladung für die Agenda 2010 und unzählige „betriebliche Bündnisse für Arbeit“. Bündnisse, zu denen der Betriebsrat vom Arbeitgeber gedrängt oder erpresst wurde – um tarifwidrig und an der Gewerkschaft vorbei – betriebliche Arbeitszeitverlängerungen oder Lohnkürzungen als Gegenleistung für vage Beschäftigungszusagen zu akzeptieren. Also genau die Dinge zu tun, die später versucht wurden, mit dem „Pforzheimer Abkommen“ wieder einzufangen.
Über die Wirkung des 2019 angebotenen „Tarif-Moratoriums“ kann man sicher diskutieren. Bevor es verhandelt oder umgesetzt werden konnte, begann die Corona-Pandemie. Aber vermutlich verhält es sich ganz ähnlich wie beim „Bündnis für Arbeit“. Eine IG Metall, die sich zu devot verhält oder Lohnzurückhaltung gegen sichere Jobs „eintauschen“ möchte, könnte die Bosse erst recht ermutigt haben, uns durch konzertierte Angriffe wie Werksschließungen, Verlagerungen und „Restrukturierungen“ die Kosten der Corona-Krise sowie die Folgen ihres Renditewahns auf das Auge zu drücken. Mit Widerstand musste man ja wegen Moratorium und Corona (bis auf wenige Ausnahmen z.B. bei Continental, Voith, …) nicht mehr rechnen.
Unternehmer-Wölfe werden niemals zu Vegetariern, nur weil man „nett“ zu ihnen ist! Ganz egal wie man das Format auch nennt, in dem Klassengegensatz ausgesöhnt oder gleich ganz aufgehoben werden soll. Die unbequeme Wahrheit: Nur der gemeinsame Kampf als Klasse – so schwer er auch oft zu organisieren ist – wird unseren Lebensstandard und die bis dato erkämpften gewerkschaftlichen Errungenschaften verteidigen. Das heißt zum Beispiel: Werden wir auf betrieblicher Ebene durch die angedrohte Verlagerung der Produktion oder durch Schließungspläne angegriffen, sind der Streik für einen Sozialtarif und öffentlicher, radikaler Protest das beste Mittel, Widerstand zu leisten. Die versammelte Unternehmerschaft muss sehen, dass der Frontalangriff auf uns keine Nettigkeiten oder „business as usual“ nach sich ziehen.
Damit setzen wir auch ein Zeichen über den unmittelbar betroffenen Betrieb hinaus, sodass zukünftige oder geplante Angriffe in anderen Unternehmen unterbleiben, weil es eben nicht „geräusch- und reibungslos“ mit Sozialplanverhandlungen hinter verschlossenen Türen geht.
Zum Schluss noch einige, kurze politische Gedanken, die man nicht unbedingt teilen muss, um in einer Gewerkschaft gemeinsam zu kämpfen. Aber von denen wir uns wünschen würden, dass über sie nachgedacht und diskutiert wird.
Der „weiße Elefant im Raum“ namens Ukraine Krieg?
Natürlich bleibt es nicht ohne wirtschaftliche Folgen, wenn Deutschland statt „billigen russischen Erdgas“ jetzt teures LNG-Gas von anderen Autokraten oder amerikanisches Fracking-Gas bezieht. Die Frage ist, wer profitiert davon? Und wer nicht?
Einige werden sagen, die Sanktionen gegen Russland wären „alternativlos“ gewesen, denn schließlich hat „Putin“ die Ukraine überfallen. Wir dagegen sagen, in der rohstoffreichen Ukraine wird bereits seit vielen Jahren ein blutiger Stellvertreterkrieg des Westens mit Russland darüber geführt, wer das Land sich unterordnen und ausbeuten darf. Deshalb sind wir weder pro-russisch noch pro-ukrainisch. Wir sind für die internationale Arbeiterklasse. Die Klasse, die von Oligarchen beider Seiten nationalistisch verhetzt wurde und jetzt zu tausenden in den Tod geschickt wird.
Es gab eine lange Zeit im letzten Jahrhundert, da lebten Russen und Ukrainer friedlich zusammen. Führten keinen Krieg gegeneinander. Sie stürzten erst gemeinsam den Zaren und seine damalige Diktatur. Dann besiegten sie die westlichen Armeen, die dem Zaren aus Angst vor dem Sozialismus zur Hilfe kamen. Später kämpften sie gemeinsam gegen die Nazis, die ihr Land überfallen hatten. Und sie befreiten uns vor dem Faschismus.
Was ist davon geblieben nachdem in Russland und der Ukraine der kleptokratische Kapitalismus Einzug gehalten hat? Nichts. Es herrschen Nationalismus, Armut und Krieg.
Was wollen wir damit sagen?
Der Markt hat doch nur Scheiße im Kopf!
Wir wissen: im Kapitalismus wird es keinen gerechten Lohn geben, da die Arbeiterklasse unter den derzeitigen Eigentumsverhältnissen und den sprichwörtlichen „Gesetzen des Marktes“ niemals (kollektiv) über den vollen Umfang, der von ihr selbst geschaffenen Werte verfügen kann. Das ist es auch, was Marxisten „Ausbeutung“ nennen.
Es ist richtig, dafür zu kämpfen, steigende Preise durch mindestens ebenso stark steigende Löhne auszugleichen. Allerdings sollten wir nicht dabei stehenbleiben, sondern versuchen aus diesem Teufelskreis auszubrechen!
Wir meinen damit, dass es sicher nicht verkehrt wäre, wenn wir – bildlich gesprochen — die ganze Bäckerei“ (und „neue Rezepte“) fordern würden statt alle paar Jahre nur ein möglichst großes „Stück vom Kuchen“.
Hätte die Arbeiterklasse die Macht im Staat – und nicht die Kapitalisten – könnte sie selbst entscheiden und planen, nach welchen nach sozialen und ökologischen Kriterien z.B. die Zukunft der Automobilindustrie und des Maschinenbaus oder auch die Dekarbonisierung der Energieerzeugung organisiert werden sollen. Und natürlich auch, was eine faire Lohnerhöhung für alle ist!
Finale Version vom 3.Oktober 2024
1 Dem Autor dieses Textes. Und denjenigen, die ihn verbreiten.
2 Unserer Klasse. Der „Abteilung“ unserer Klasse im jeweiligen Betrieb. Unserer Gewerkschaft. Unserem Betriebsrat.
3 Siehe Fußnote „2“
4 Der Vorstand der IG Metall hat die Entgelttarifverträge zum 30.September gekündigt. Danach folgen noch vier Wochen sogenannter „Friedenspflicht“. Das heißt die ersten Warnstreiks sind in der Nacht vom 28. auf dem 29. Oktober ab 0.01 Uhr zu erwarten.
5 Inflationsrate jeweils im Jahresdurchschnitt. Zitiert nach „statista.de; Prognose für dieses und nächstes Jahr durch die Bundesbank (Stand Juni 2024)
2020: 0,5%, 2021: 3,1%, 2022: 6,9%, 2023: 5,9%, 2024: 2,8%, 2025: 2,7%
6 Wir hoffen, dass das Konsens ist?!
7 Bisher setzte sich die Entgeltforderung der IG Metall immer aus drei „Bausteinen“ zusammen: Inflationsausgleich, Produktivitätszuwachs und Umverteilungskomponente. Wir schlagen folglich als vierten Baustein eine „Reallohnverlustausgleichskomponente“ vor.
8Vergleich 3. Ausbildungsjahr: ME BaWü 1.303,-, Pflegeberufe (Verdi) 1.503,-, EnBW 1.575,-
Selbst in der vermutlich eher kleinen und nicht allzu finanzstarken Brauereibrache in Baden-Württemberg erhält ein Azubi im 3. Ausbildungsjahr 1.400, –
9 Die durchschnittliche Ausbildungsvergütung über alle Branchen und Berufe hinweg betrug laut Bundesinstitut für Berufsbildung im Jahr 2023 1.066, – Brutto im Monat
10 Vermutlich sah die Anbindung der Azubi-Vergütung an die Entgeltgruppe im ersten Moment auch wirklich gut aus? Besser wäre es jedoch gewesen, wir hätten, bevor wir uns damit zufriedengaben, eine Modellrechnung erstellt, wie sich die Ausbildungsvergütung im Laufe der Jahre verändert, wenn man nur noch einen vorher definierten Prozentsatz der allgemeinen Entgelterhöhung erhält?
Wahrscheinlich hätten wir dann schnell gemerkt, dass wir gerade „mit Zitronen handeln“? Und durch die „Anbindung“ auf lange Sicht ein Zurückbleiben unserer Ausbildungsvergütung im Vergleich zu anderen Branchen zu befürchten war?
11 Der Vergleich zu den Ferienjobbern bei Mercedes, die, sofern sie IG Metall Mitglied werden, mehr Urlaub bekommen und diesen sich dann auszahlen lassen dürfen, hingt. Denn mit den Ferienjobbern müssen wir keinen Arbeitskampf führen können. Ganz abgesehen davon, dass es uns ein Mysterium bleibt, warum das Mercedes-Management dem „Ferienjobber-Mitgliederbonus“ vor langer Zeit einmal zugestimmt hat?
Um der IG Metall etwas Gutes zu tun, vermutlich nicht? Gestreikt wurde dafür auch nicht? Also muss es ein „Entgegenkommen“ an anderer Stelle gegebene haben? Aber das ist Spekulation.
12 Vermutlich gilt dasselbe auch für die diejenigen, die den Kapitalismus „abschaffen“ wollen oder sich selbst als „radikale Linke“ verstehen?!
13 Sollte dieser Arbeitskampf nicht gewonnen werden und nicht in allen(!) tarifgebundenen Betrieben gestreikt werden können, spricht vieles dafür, dass das das Ende des Flächentarifvertrags ist, wie wir ihn heute kennen. Das heißt, gut nachdenken über die die eigenen Durchsetzungsmacht, bevor man „all in“ geht. Aber natürlich auch nicht zu zögerlich sein.
14 Im jüngsten Tarifabschluss der IG BCE heißt es: „Arbeitnehmer, die Mitglied der IGBCE sind, werden beginnend ab dem Kalenderjahr 2025 als Ausgleich für ihre IGBCE-gewerkschaftlichen Aktivitäten ohne Verdienstminderung für einen Tag pro Kalenderjahr freigestellt.
In den Kalenderjahren, in denen das IGBE-Mitglied seine 10-, 25-, 40-, oder 50-jährige Mitgliedschaft in der IGBCE vollendet, entsteht neben dem Anspruch nach Absatz 1 Anspruch auf einen weiteren Tag Freistellung.
Der Anspruch auf die Freistellung in einem Kalenderjahr setzt voraus, dass der Arbeitnehmer am 1. Januar dieses Kalenderjahres (Stichtag) seit mindestens 3 Monaten Mitglied der IGBCE ist und seine aktive durch Engagement für die IGBCE geprägte Mitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber bis spätestens zum 31. März dieses Kalenderjahres mit einer Bestätigung der IGBCE nachgewiesen hat.“
Wir sind daher gespannt, ob die betriebliche Realität in der Chemie-Branche demnächst tatsächlich so sein wird, dass alle(?) Gewerkschaftsmitglieder einen zusätzlichen freien Tag erhalten. Oder nur die „aktiven“? Und wie „die durch Engagement geprägte Mitgliedschaft in der IGBCE“ in der Praxis definiert werden wird?
15 Angaben Gesamtmetall.
16 Vermutlich ist das ein Teil der Erklärung, warum seit dem Anschluss der DDR an die BRD Millionen Menschen ihre frühere Heimat verlassen haben. Und dies zahlreiche Jugendliche unmittelbar nach ihrem Schulabschluss heute immer noch tun.
Nicht wenige im Osten fühlen sich um die Versprechungen im Zuge der „Wiedervereinigung“ betrogen, abgehängt und in den Betrieben als die „Billiglöhner“ vor der Haustür westdeutscher Konzerne. Inzwischen versucht die AfD diese nicht selten berechtigte Unzufriedenheit in eine völkisch-nationalistische Richtung umzulenken. Wem das nützt, kann man sich denken.
17 Die Zahlen für Baden-Württemberg sind ebenfalls ernüchternd. Im auf der Homepage von Gesamtmetall veröffentlichten „Zahlenheft“ ist nachzulesen, dass Südwestmetall (SWM) im Jahr 2023 noch 679 Mitgliedsunternehmen hat. Der sogenannte OT-Verband (ohne Tarifbindung) namens „Unternehmerverband Südwest“ (USW) hingegen bereits 701 Mitglieder.
Da mag es auch nicht trösten, dass die Mehrzahl der ME-Beschäftigten immer noch in tarifgebundenen Betrieben arbeitet. Der Trend ist leider eindeutig!
18 Die „unsichtbare dritte Partei“ am Tisch der Tarifverhandlungen war die DDR. Solange die Bosse Angst vor dem Sozialismus hatten – so unzulänglich er in vielerlei Beziehung auch gewesen sein mag –, waren sie bereit, gewisse Zugeständnisse zu machen. Hauptsache die Arbeiterklasse kommt nicht auf dumme Gedanken und will im Westen auch den Sozialismus“ oder „Revolution machen“.
19 Die Bosse sprechen in diesem Zusammenhang von „best cost countries“. Womit sie gewollt oder ungewollt klarstellen, wie sie es gerne hätten. So billig wie möglich, was die Löhne betrifft.
20Übersetzt „Original Equipment Manufacturer“. Hier als Synonym für großen, renditestarken Konzern gebraucht.